Ursprünglich war der Chef's Table ein in der Küche platzierter Tisch,
zu dem neben besonderen Lieferanten, auch Kunden und Freunde des Hauses
vom Küchenchef persönlich eingeladen und bekocht wurden. Mittlerweile
ist der Chef´s Table ein Exklusivitäts-Konzept der Spitzengastronomie,
wo eine jeweils kleine Zahl zahlungswilliger Gäste die Möglichkeit hat,
den Köchen bei der Arbeit über die Schulter zu schauen und hautnah die
Zubereitung der Speisen zu verfolgen, gegebenenfalls sogar spontan
mitzuarbeiten und mit den Köchen zu fachsimpeln. Gegessen und getrunken
wird dabei natürlich auch. In abgeschwächter Form ist dieses Konzept
heute vielerorts umgesetzt. Vorreiter war Joel Robuchon mit seinen
Ateliers, heute findet man die „offene“ Küche in vielen Bereichen der
(Erlebnis-)Gastronomie.
Die Teilnehmer an Chef´s Tables kommen aus den unterschiedlichsten
sozialen Schichten und Berufsgruppen. Häufig sind auch mit dem
jeweiligen Chef befreundete Köche mit von der Partie. Die
Einkommensverhältnisse spielen eine untergeordnete Rolle. Oft wird auf
einen Chef´s Table richtiggehend „hingespart“. Die Motive, einen Chef´s
Table zu buchen, sind unterschiedlich und reichen von der Suche nach dem
ultimativen Genuss bis hin zum gesellschaftlichen „me too“ und Abhaken
einer angesagten Destination.
Bei manchen Chef´s Tables muss man auch zur Teilnahme eingeladen
werden, was in der Community einem „Ritterschlag“ gleichkommt. Diese
Ehre erweisen Chefs in erster Linie treuen Stammgästen.
Die Chef´s Tables gelten heute einer ganz besonderen Form der
Darstellung von „Rangverhältnissen“ in selbsternannten Gourmetkreisen.
Wie die Fürsten der Vergangenheit sitzen die Teilnehmer „erhöht“ und
abgegrenzt von den anderen Essenden. Sie „leisten“ sich eine Mahlzeit
und ein Vergnügen, das nur wenigen vorbehalten ist, und beweisen ihren
guten Geschmack.
[1]
Anders als vielen Herrschern der Vergangenheit bereitet ihnen das
öffentliche Essen in der Regel Freude und geht damit einher, dass den
Teilnehmenden von den anderen Anwesenden und den Beobachtern (hohe)
kulinarische Kompetenz zugeschrieben wird, wodurch sie sich von
letzteren als Gruppe – mag sie in sich noch so inhomogen sein –
abgrenzen. Darüber hinaus rückt – wie bei Stammtischen – die
individuelle Person „in den Fokus der Aufmerksamkeit und die gemeinsame
Verzehrsituation dient als Anlass und Rahmen für die darüber
hinausgehenden Beobachtungsoperationen.
Essbar ist in solchen Konstellationen, was der Vergemeinschaftung dient.“
[2] schreibt Daniel Kofahl in seiner Dissertation.
Essbar bzw. wohlschmeckend könnte sich im Fall des Chef´s
Table auf Bewertungen von Gourmetkritikern oder Genuss-Guides beziehen,
auf spezielle Zutaten, Kochtechniken oder Kombinationen davon, aber auch
auf Ausprägungen, die dem „aktuell legitimen Geschmacksempfinden“
[3] entsprechen.
Wohlgeschmack ist nicht allein eine Frage des individuellen
Geschmacksempfindens sondern auch der Sozialisation innerhalb der
Familie, der (kulinarischen) Literatur und der Medien, man denke nur an
die Unzahl von Kochsendungen im TV. Teilnehmer von Chef´s Tables sind
bzw. sehen sich nicht selten als Trendsetter bzw. leading people der
Kulinarik und beeinflussen ihrerseits – insbesondere wenn sie der
schreibenden Zunft angehören oder ihre Erkenntnisse in Blogs oder in den
sozialen Medien veröffentlichen – oft auch das kulinarische Erleben
ihrer Leserschaft.
[1] Vgl. Werner Prahl, Monika Setzwein, Soziologie der Ernährung, Kap. 3
in: Sozialstrukturelle Dimensionen von Ernährung, Opladen 1999, S. 74
[2] Daniel Kofahl, Die Komplexität (wie Anm. 19), S. 70
[3] Daniel Kofahl, Die Komplexität (wie Anm. 19), S. 73